Archangel(sk)


Archangelsk

Archangelsk ist eine Hafenstadt in Nordrussland mit 353.278 Einwohnern (Stand: 2004) oberhalb der Mündung der Nördlichen Dwina in das Weiße Meer.

Geschichte

918/970: Bjarmeland
Für das Jahr 918 erzählt die Heimskringla eine Geschichte von Eirik Blodøks (Blutaxt), der nach Bjarmeland (Russland) fuhr. In der Egil Saga heißt es: "Viele Dinge geschahen während dieser Reise. Eirik kämpfte eine große Schlacht am Fluss Dwina, in Bjarmeland, und war siegreich." Weiter erzählt die Heimskringla, wie Harald Gråfell (Graufell) seine Armee im Sommer 970 nach Norden, nach Bjarmeland führte, plünderte und am Ufer der Dwina eine große Schlacht gegen die Bjarmen (Russen) führte. Harald gewann die Schlacht, tötete viele Menschen und machte reiche Beute.

12. Jhdt.: Erzengel-Michael-Kloster
Am Kap Pur-Nawolok, dem Kap der Nebel, wo das Delta der Nördlichen Dwina beginnt, bevor der Fluss sich in eine Vielzahl von Armen verzweigt und 40 km weiter ins Weiße Meer fließt, gründeten Novgoroder Mönche im 12. Jahrhundert das Erzengel-Michael-Kloster, an das eine Siedlung und eine Anlegestelle für Fischerboote grenzten. Die Gründung des Klosters wird dem Heiligen Johannes, Erzbischof von Nowgorod, zugeschrieben.

1419: Streit um Kola
Nowgorod, neben Kiew das zweite, nördliche Zentrum des alten Russland, hatte seinen Einflussbereich seit dem 12. Jahrhundert weit nach Nordwesten, bis zur Halbinsel Kola ausgedehnt, doch auch Norwegen erhob Anspruch auf den ertragreichen Pelzhandel und die Steuerhoheit. 1251 wurde eine Vereinbarung getroffen, die die Steuererhebung regelte, doch diese Vereinbarung wurde bald gebrochen.

1411 führte der Nowgoroder Jakow Stepanowitsch einen Feldzug gegen Nordnorwegen. Dies scheint der Anfang einer Reihe kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Russen und Norwegern in der ersten Hälte des 15. Jahrhunderts gewesen zu sein, und 1419 drangen norwegische Schiffe mit 500 Soldaten bis ins Weiße Meer. Die "murman", wie die Norweger damals genannt wurden (s. Murmansk), plünderten zahlreiche russische Siedlungen an der Küste, darunter auch das Erzengel-Michael-Kloster an der Mündung der Nördlichen Dwina.

Letzten Endes gelang es der Republik Nowgorod seine Besitztümer gegen Norwegen zu verteidigen, aber 1478 fielen die Nowgoroder Ländereien, und mit ihnen das Erzengel-Michael-Kloster an der Dwina, an das expandierende Großfürstentum Moskau.

1553 entsandte die englische Company of Merchant Adventurers ihre erste Expedition. Die "Mystery and Company of Merchant Adventurers for the Discovery of Regions, Dominions, Islands, and Places unknown" war 1551 von Sebastian Cabot (dem Sohn des Entdeckers von Neufundland 1497, John Cabot) und einer Gruppe englischer Kaufleute mit dem Ziel gegründet worden, für England eine von Portugal unabhängige Handelsroute nach China und Indien zu finden. Von den drei möglichen Routen die Nordwestpassage, die Nordostpassage und der Weg über den Nordpol entschied sich Cabot für die zweite. Am 10. Mai 1553 brachen drei Schiffe von London auf, um unter der Leitung von Admiral Sir Hugh Willoughby und seinem Navigator Richard Chancellor eine Nordostpassage durch das Nordpolarmeer zu finden. Nahe der Lofoten jedoch geriet die kleine Flotte in einen Sturm, und Chancellors Schiff wurde von den anderen beiden Schiffen und Willoughby getrennt.

Willoughby überquerte mit den verbliebenen beiden Schiffen die Barentssee und erreichte Nowaja Zemlja. Er verbrachte, auf der Suche nach einer Passage nach Osten, einige Zeit an der Küste und kehrte dann nach Skandinavien zurück. An der Küste in der Nähe von Murmansk wurden seine Schiffe in einer Flussmündung von Eis eingeschlossen. Die Expedition war nicht auf die Kälte vorbereitet, und nach einigen Versuchen, Hilfe zu finden, starben Willoughby und seine Männer, vermutlich den Kältetod. Im folgenden Jahr fanden russische Fischer die beiden Schiffe mit den Toten.

Chancellor hatte mehr Glück. Er erreichte das Weiße Meer, und am 24. August 1553 ging er in der Nikolsky-Mündung der Nördlichen Dwina vor Anker. Mit Booten fuhren sie weiter flussaufwärts und erreichten Cholmogory, das, 119 km von der Mündung des Flusses im Landesinneren gelegen, seit dem 15. Jahrhundert das Handelszentrum der Nowgoroder Kaufleute war.

Die Engländer boten den Russen zum Handel Waren an, diese weigerten sich jedoch, ohne einen Erlass aus Moskau einzuwilligen. Als Zar Iwan IV., genannt der Schreckliche, von Chancellors Ankunft hörte, lud er ihn nach Moskau ein. Chancellor unternahm die mehr als 1000 km lange Reise durch Eis und Schnee mit dem Schlitten. Er wurde der erste Engländer der Moskau erblickte. Die Stadt erschien ihm größer als London, wenngleich die meisten Häuser nur aus Holz erbaut waren. Der Palast des Zaren aber war prachtvoll und luxuriös, ebenso die Mahlzeiten, die dieser seinem englischen Gast anbot.

Zar Iwan IV. freute sich über die Ankunft Chancellors und die Möglichkeit, einen unmittelbaren Handel ohne Zwischenhändler mit England beginnen zu können. Russland hatte damals noch keinen Zugang zur Ostsee, und die Hanse beherrschte den Handel zwischen Russland und Mittel- und Westeuropa. Als Chancellor im März 1554 nach England zurückkehrte, brachte er Briefe des Zaren mit, die die englischen Kaufleute, aber auch Geologen und andere Handwerker einluden und Handelsprivilegien versprachen.

Die Engländer betrachteten Chancellors Reise als die Entdeckung eines neuen Landes, welche der Entdeckung Amerikas gleichkomme. Am 26. Februar 1555 erhielt die Company of Merchant Adventurers, nun als Muscovy Company (Moskauer Gesellschaft), von Königin Mary I. Tudor das Monopol auf den englisch-russischen Handel und entsandte noch im selben Jahr Richard Cancellor als ihren Vertreter zu einer neuen Expedition in das Weiße Meer. Vom Zaren wurde er erneut herzlich empfangen. Iwan IV. wies die russischen Händler an, mit den Engländern Handel zu treiben. Am 20. Juli 1556 brach Chancellor gemeinsam mit dem ersten russischen Botschafter für England, Ossip Gregorewitsch Nepeja aus Wologda, und zehn Kaufleuten aus Cholmogory vom Sankt Nikolas Hafen (dem heutigen Sewerodwinsk) nach England auf.

Vor der schottischen Küste, schon auf der Fahrt Richtung London, geriet Chancellors Schiff jedoch in einen Sturm. Chancellor ertrank im Meer, doch Nepeja erreichte die Küste, wo er von den Schotten einige Monate lang als Geisel gefangengehalten wurde, bevor er weiter nach London reisen konnte. Er traf in London ein und wurde dort feierlich und in allen Ehren empfangen. Im April 1557 wurde eine Erklärung verabschiedet, die die freundschaftliche Beziehung zwischen England und Russland zum Inhalt hatte. Eine zwischenstaatliche Handelsvereinbarung gab englischen Kaufleuten das Recht zu zollfreiem Handel in Russland und russischen Kaufleuten das Recht zu zollfreiem Handel in England. In Mai 1557 kehrte Ossip Nepeja in Begleitung von englischen Handwerkern nach Moskau zurück.

In den folgenden Jahren liefen jeweils im Frühjahr die Handelsflotillen der Engländer in der Dwina-Mündung ein. Im Herbst stachen sie, nun mit Waren beladen, erneut in See. Die Engländer brachten Tuch, Zucker, Gewürze, Edelsteine, Waffen, Munition und Waren aus dem Mittelmeerraum nach Russland; und sie kauften Felle, Leder, Wachs, Hanf, Teer, Getreide, Kerzen und Holz. Mit der Zeit verwandelte sich die Anlegestelle für Fischerboote am Erzengel-Michael-Kloster zuerst in einen Stützpunkt der "Moskauer Gesellschaft", die sich dem Handel mit den britischen Kaufleuten widmete. Bald jedoch kamen Kaufleute aus allen europäischen Ländern und vielen russischen Städten, und gewaltige Mengen Waren wurden hier umgeschlagen.

Die "Moskauer Gesellschaft" existierte über 300 Jahre lang bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Bis 1819 hatten die Agenten der Gesellschaft gleichzeitig den Rang englischer Konsuln in Archangelsk inne. 1991 wurde eine Straße in Sewerodwinsk nach Richard Chancellor benannt; ein Gedenkstein ihm zu Ehren wurde 1998 auf der Insel Jagry errichtet.

In den Jahren 1583-1584 errichteten die Heerführer Pjotr Afanasewitsch Naschtschokin und Zaleschanin Nikiforow Wolochow auf Erlass des Zaren Iwan IV. eine hölzerne Festung um das Erzengel-Michael-Kloster und die Siedlung der Fischer und Kaufleute am Kap Pur-Nawolok. Als Datum der Gründung wird der 4. März 1583 angenommen die heutige Stadt Archangelsk jedoch feiert als ihr Gründungsjahr das Jahr der Fertigstellung der Befestigungen: 1584. Ursprünglich hieß die Festung die Neue Stadt, Neue Cholmogorer Stadt oder Nowocholmogory, nach dem damaligen Handelsmittelpunkt Cholmogory, der jedoch bald an Wichtigkeit verlor und heute nur noch ein kleiner Ort mit rund 5000 Einwohnern ist. Seit 1613 dann erhält die neue Stadt an der Dwinamündung ihren heutigen Namen: die Erzengelstadt.

1667 zerstörte ein Brand die überwiegend aus Holzbauwerken bestehende Stadt, die daraufhin fast vollständig neu aufgebaut werden musste.

1693 traf der junge Zar Peter I., genannt Peter der Große, in Archangelsk ein. Er verlegte die Werft auf die Insel Solombala und gründete dort eine Admiralität als Grundlage für eine russische Kriegsmarine und Handelsflotte. Das erste Schiff, das Handelsschiff "Sankt Paul", lief im Juni 1694 vom Stapel. Im selben Jahr kehrte Peter I. nach Archangelsk zurück und erließ ein Handelsmonopol für die wichtigsten Exportgüter das bis 1719 anhielt.

Kriegsoperationen der schwedischen Flotte auf dem Weißem Meer zwangen Peter I. die Stadt weiter zu befestigen. 1701 begann auf seinen Befehl der Bau der Festung Nowodwinsk. Am 25. und 26. Juni 1701 hielt die Festung bereits dem ersten schwedischen Angriff stand. Dies war Russlands erster Sieg über Schweden. Die Festung Nowodwinsk wurde innerhalb von vier Jahren errichtet. Das aus dieser Zeit stammende barocke Dekor der Tore ist bis heute erhalten.

1702 verlegte Peter I. die Verwaltung des Pomorengebiets von Cholmogory nach Archangelsk, und seit dem 18. Dezember 1708 war Archangelsk Hauptstadt der Provinz Archangelogorod ("Provinz der Stadt Archangelsk"), einer von acht Provinzen, in die der russische Staat damals aufgeteilt war.

Nach der Gründung Sankt Petersburgs am 16. Mai 1703, und insbesondere nachdem Sankt Petersburg 1712 neue Hauptstadt wurde, verliert Archangelsk allmählich seine überragende Bedeutung als Außenhandelshafen.

Heute ist die Region ein bedeutender Handels- und Industriestandort Russlands. Ihr Zugang zum Meer begünstigt wirtschaftliche Beziehungen mit dem Ausland. In der Region sind Fischfang, Holzverarbeitungs- und Papierindustrie entwickelt. Auch verfügt die Region traditionell über eine bedeutende Rüstungsbranche, vor allem auf dem Gebiet des Schiffsbaus in der Stadt Severodvinsk. In diesem Zusammenhang sind die großen Sevmas Werften zu erwähnen, die heute hauptsächlich Auftragsprojekte (Flugzeugträger, Kreuzer, Kriegsschiffe) für Indien und China realisieren. Zunehmende Bedeutung erleben Öl- und Gasförderung, die durch diverse staatliche Projekte wie z.B. Rosshelf vorangetrieben werden. Verstärkte Deviseneinnahmen in der Zukunft verspricht sich die Region zudem durch die internationale kommerzielle Nutzung der Weltraumbasis Pleseck [lies: Plessezk], die sich seit dem Ende der UdSSR und der für Russland somit teuren Pachtsummen des in Kasachstan gebliebenen Zentrums Baikonur, anschickt, Russlands wichtigstes Raumfahrtzentrum zu werden.

Umgebungskarte

Die Region verfügt über reiche Traditionen in Kunst und Handwerk. Der freie russische Norden, der von vielen Erschütterungen der russischen Geschichte verschont blieb, repräsentiert heute das urtümlichste und unverzerrteste russische Kulturerbe. In zahlreichen Museen der nordischen Städte kann man Schmuck, Gemälde, Kostüme und andere Erzeugnisse der lokalen Macher betrachten. Weltweit einzigartig ist die Holzbaukunst des russischen Nordens, zahlreiche Kirchen und Klöster können in Museen unter freiem Himmel, wie Malye Korely, bestaunt werden. Die Region verfügt über zahlreiche Volkschöre und Orchester, Theater und Philharmonien. Das Bildungspotenzial ist durch mehrere Universitäten, Hochschulen und Forschungsinstitute repräsentiert.

Zu den Hauptsehenswürdigkeiten der Region gehören unter anderen die Solovki-Inseln (Solovecky-Inseln) mit dem alten geschichtsträchtigen Kloster. Das Solovecky-Kloster war lange Zeit ein wichtiges Zentrum des orthodoxen Christentums in Nordrussland. Bereits von den Zaren als Verbannungsstätte für Aufständische genutzt, wurde er von den Bolschewiken bereits in den 20er Jahren in ein Konzentrationslager umfunktioniert und war der erste GULAG-Lager Russlands. Heute gehört das Kloster wieder der Russisch-orthodoxen Kirche, die seine frühere Größe und geistige Bedeutung für das Land wiederherzustellen versucht. Ferner zu erwähnen ist das historische Handelsstädtchen Kargopol im Südwesten der Region, das einen altrussischen Flair beibahlten hat.

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